Das Stakeholder-Dialog-Interview

Das Stakeholder-Dialog-Interview - mit hoher Präsenz in Beziehung treten. Marc Wethmar MScBA - MCV Notiz - Oktober 2010

Das Stakeholder-Dialog-Interview

Das Stakeholder-Dialog-Interview ist keine klassische Umfrage. Es ist ein wirkungsvolles Instrument mit dem Sie als Führungskraft oder als Führungsteam in einen echten Dialog kommen können mit Ihren MitarbeiterInnen über die Themen, um die es wirklich geht in der Führung. Oder es kann Ihnen als Dienstleister dazu dienen im direkten Kontakt zu erfahren, welche Bedürfnisse Ihre KundInnen tatsächlich haben. Ich werde das Instrument erst beschreiben und dann an Beispielen illustrieren wie ich es als Berater eingesetzt habe.

Das Ziel Das Ziel eines Stakeholder-Dialog-Interviews ist es bestmöglich zu verstehen, wie meine Arbeit aus der Perspektive eines Stakeholders wahrgenommen wird. Stakeholder sind zum Beispiel meine MitarbeiterInnen, interne und externe Kunden oder mein Vorgesetzter.

Der Nutzen Der Nutzen eines Stakeholder-Dialog-Interviews kann unterschiedlich sein: * Klarheit darüber zu bekommen, wie meine Arbeit aus der Sicht meiner Stakeholder wahrgenommen wird. * Erkennen, was die wesentlichen Bedürfnisse meiner Stakeholder sind. * Vorschläge erhalten, wie der Wert meiner Arbeit rasch gesteigert werden kann. * Das Erkennen von Hindernissen und Blockaden. * Eine bessere und vertiefte Beziehung zu meinen Stakeholdern.

Die Qualität der Fragen Die Qualität der vorbereiteten Fragen ist ein wichtiges Element. Nützliche Fragen, nicht nur von neuen Führungskräften an Ihre MitarbeiterInnen können sein: 1. Was ist Ihr wichtigstes Ziel und was kann ich dazu beitragen, dass Sie es erreichen? Anders gefragt: Wofür brauchen Sie mich? 2. Wenn ich 2 Dinge in meinem Verantwortungsbereich innerhalb der nächsten 6 Monate ändern könnte, welche 2 Dinge würden für Sie den größten Nutzen und Wert schaffen? 3. Gab es Spannungen oder Interessenkonflikte mit meinem Vorgänger, die es schwierig gemacht haben Ihre Erwartungen und Bedürfnisse zu erfüllen? 4. Gab es sytemimmanente Spannungen oder Interessenskonflikte, die es meinen Vorgängern schwer machten Ihre Anforderungen und Erwartungen zu erfüllen? 5. Wie kann ich dafür sorgen, dass Kreativität im Zentrum unsere Arbeit bleibt?

Offener Dialog Es geht in dieser Gesprächsform um einen offenen Dialog und nicht um ein Abarbeiten von standardisierten Fragen. Die Qualität des Kontaktes mit dem Gegenüber hat massgeblichen Einfluss auf das Ergebnis. Wie stelle ich nun aber rasch wirklichen Kontakt her mit meinem Gegenüber? Grundlegend dafür ist die Qualität meines Hinhörens: Wie gut bin ich in der Lage mich wirklich auf den anderen Menschen einzulassen und meine eigenen Vorstellungen, Meinungen oder sogar Rechtfertigungen ausser Acht zu lassen. Es geht hier nämlich erstmals nicht um meine Sichtweisen und Bedürfnisse sondern um die meines Stakeholders. Stephen Covey nennt das: „Erst verstehen bevor ich mich verständlich mache.“ Klingt einfach, die Praxis zeigt aber, dass gerade Führungskräfte Mühe haben mit dieser Form des Dialogs wo es um sie geht, aber explizit aus der Sicht des Stakeholders. Der Dialog soll also dazu verhelfen die Sichtweise des Gegenübers, bestmöglich zu verstehen und nicht darum sich selbst zu erklären. Die folgende praktische Anleitung kann hilfreich sein für das gute Gelingen des Stakeholder-Dialog-Interviews.

  1. Intention “Die wichtigste Stunde eines Interviews ist die Stunde davor” sagt Joseph Jaworski dazu. Besinnen Sie sich –vor dem Interview- auf die Intention die Sie mit dem Interview verbinden. Was wäre das bestmögliche Ergebnis für Sie? Nehmen Sie sich einige Minuten für diese Vorbereitung.
  2. Erster Kontakt Schaffen Sie Vertrauen, indem Sie Ihre Intention und den Ablauf des Interviews deutlich machen. Bauen Sie vom ersten Moment an einen persönlichen Draht auf, durch Blick- und Herzkontakt.
  3. Abstellen des eigenen Urteils Ob Sie gleicher Meinung sind, zählt zu diesem Zeitpunkt nicht. Wichtig ist im Moment, dass Sie lernen die Sache durch die Augen Ihres Stakeholders zu betrachten. Versuchen Sie deshalb Ihre eigen Urteile (auch inerlich) zurückzuhalten.
  4. Zugang zur eigenen Ahnungslosigkeit Achten und vertrauen Sie auf Fragen, die während des Interviews bei Ihnen aufkommen. Stellen Sie ruhig auch einfache Fragen oder Fragen von denen Sie befürchten, dass diese ein Nicht-Wissen oder Nicht-Können ihrerseits preisgeben könnten.
  5. Zugang zum empathischen Hinhören Stellen Sie mit offenem Kopf (Ihre Gedanken) und Herz Kontakt zu Ihrem Gesprächspartner her. Hören Sie die Geschichte aus der Sicht Ihres Gegenübers und wertschätzen Sie diese Darstellung, ganz unabhängig davon ob Sie einverstanden sind oder nicht.
  6. Zugang zum generativen Hinhören Versuchen Sie sich vorzustellen, was für Ihr Gegenüber in der heutigen Situation die beste Lösung wäre. Wie könnte das bestmögliche Zukunftsszenario aussehen?
  7. Spontan sein Tun Sie sich keinen Zwang an, wenn Ihnen spontan wichtige Fragen einfallen. Der Fragebogen ist dazu da, Sie und Ihre Arbeit zu unterstützen – und nicht umgekehrt.
  8. Setzen Sie die Kraft der Präsenz und des Schweigens ein Eines der wirksamsten Mittel ist es, trotz vollständiger Präsenz im Gespräch, Pausen im Gesprächsfluss zuzulassen, ohne diese gleich überbrücken zu wollen. Schweigemomente können eine Vertiefung der Reflexionsebene eines Gesprächs bewirken.
  9. Reflexion Halten Sie nach dem Interview sofort Ihre Beobachtungen und Einsichten schriftlich fest. Führen Sie nach dem Interview keine Telefonate oder Gespräche bis Sie Ihre Gedanken und Eindrücke niedergeschrieben haben.

Es bleibt ein Interview Wichtig ist, dass es ein Interview bleibt: Sie sammeln Ergebnisse. Danach bilden Sie sich erst ein Urteil darüber, was Sie damit tun wollen. Wie setze ich nun dieses Instrument in meiner Beratungsarbeit ein? Oftmals habe ich Führungskräften, die bei mir im Coaching waren, Stakeholder-Interviews empfohlen, damit sie in einen vertieften Kontakt mit ihren MitarbeiterInnen kommen. Zudem wurden die relevanten Coachingthemen dabei rasch erkannt.

Praxisbeispiele In einem Führungskulturprozess hat ein Führungsteam eines Ministeriums sämtliche MitarbeiterInnen auf der nächsten Führungsstufe mit gemeinsam erarbeiteten Fragen dialogisch interviewt. In einem halbtägigen Workshop haben wir die relevanten Fragen erarbeitet und habe ich die Führungskräfte befähigt die dialogischen Interviews vorzunehmen. Die Ergebnisse dienten als Grundlage für einen Prozess, in dem gemeinsam ein neues Führungsverständnis erarbeitet wurde.

Eine grosse physiotherapeutische Praxis hatte das Anliegen, eine gemeinsame Vision für die nächsten 10 Jahre und eine bessere Positionierung im Markt zu erarbeiten. Alle TherapeutInnen haben jeweils 2 PatientInnen und eine(n) verordnenden Arzt/Ärztin dialogisch interviewt. Auch dort habe ich die InterviewerInnen für das Interview befähigt und wurden die Fragen gemeinsam erarbeitet. Die Ergebnisse bildeten die Grundlage für den weiteren Entwicklungsprozess.

Beide Beispiele haben eines gemeinsam Indem nicht anonym befragt wurde, sondern in einem echten, persönlichen Kontakt mit dem Gegenüber, in der geschilderten Haltung, war die Wirkung eine andere. Der Bezug der Beteiligten zu Ihrem „Feld“ der Stakeholder war viel persönlicher und näher. In der gemeinsamen Bearbeitung der Ergebnisse entstand zudem ein sehr vielschichtiges und dichtes Bild der Stakeholder und Ihrer Sichtweisen und Bedürfnisse. Es war möglich auf eine tiefere Ebene des Verstehens der aktuellen Situation zu kommen, ohne dass eigene (Vor-)Urteile im Weg standen. Mit der soliden Grundlage (Verstehen was ist) konnte nun gemeinsam Zukunft (was werden will) erschaffen werden.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass durch diese persönlichen Interviews, im Vergleich zu anonymen Befragungen, eine grössere Verpflichtung gegenüber den Interviewten entstand auch etwas Wirkungsvolles mit den Ergebnissen zu tun.

Fazit Fazit ist für mich, dass Stakeholder-Dialog-Interviews ein sehr bewährtes und gleichzeitig einfaches Mittel sind um wirklich zu verstehen was die Sichtweisen und Bedürfnisse meiner Stakeholder sind. Erst wenn ich diese Bedürfnisse in ihrer Tiefe verstanden habe, kann ich daraus Schlüsse ziehen für mein zukünftiges Handeln.

Marc Wethmar, MScBA

Quelle: Claus Otto Scharmer “Theory U, Von der Zukunft her Führen” 2009