​​Brüche im Leben als Chance der Erneuerung

Ein Erfahrungsbericht und eine Reflexion darüber Marc Wethmar MScBA - Juni 2017

Marc Wethmar MScBA

Dieses Bild erhielt ich von einer Mitarbeiterin, am gleichen Tag an dem ich gekündigt wurde. 10 Jahre hatte ich mich mit viel Herzblut in dem Unternehmen engagiert, wovon 5 Jahre als Geschäftsführer. Kurz danach teilte mir meine damalige Ehefrau mit, dass unsere Ehe mit 4 gemeinsamen Söhnen, für sie am Ende ist. Ich erlebte mit 40 einen Bruch in meinem Leben und es folgten 7 Monate der Neuorientierung. Im Rückblick war es ein zentraler Wendepunkt der mir sehr viel ermöglicht hat. Das Bild zeigt einen fallenden Menschen, verfolgt von böse blickenden Augen, aber auch geküsst von einem engelhaften Wesen. Es drückt vieles aus, wie es mir damals ging und was mit Worten gar nicht zu beschreiben ist.

Eine erneute Bruchstelle Seitdem gab es weitere Bruchstellen, ausgelöst durch äussere Ereignisse. Im November 2016 stand ich wieder an einer solchen Bruchstelle, doch diesmal nur teilweise ausgelöst durch äussere Begebenheiten. Bis zum Sommer letzten Jahres war ich als Berater und Coach durchwegs ausgelastet in sehr unterschiedlichen Mandaten. Im Herbst wurden die Anfragen weniger und weniger. Immer mehr wurde mir bewusst, dass dies nicht nur rationale Gründe (CEO der kündigt, Abschluss Mandat) sondern eine noch viel tieferliegende Bedeutung hat. Heute kann ich sagen, dass mein Kundenumfeld mich in Ruhe gelassen hat damit ich mich mit mir selber befassen und neu orientieren kann.

Die fehlende Wegbeschreibung Es wurde mir klar, dass es nicht darum geht meine Akquisitions-Bemühungen zu verstärken oder neue Weiterbildungen anzugehen. Ideen hatte ich genug, aber es fehlte mir die Energie für die Umsetzung. Ich selber war im Wandel begriffen ohne zu wissen wohin die Reise geht und zudem ohne Wegbeschreibung. Eine Ärztin riet mir, alles los zu lassen, den Tagesrhythmus, den Sport, die Ziele, dann würden die richtigen Kunden wieder auf mich zukommen. Ich versuchte diese Lebenshaltung, liess mich aber auch auf neue Erfahrungsfelder ein. Ich merkte zum Beispiel, dass das Umfeld meines Büros, eine ruhige Oase, mir zu wenig Inspiration gab. Also wurde ich Mitglied eines Co-Working-Space. Dort lernte ich rasch junge engagierte Menschen kennen, mit denen ich heute zusammenarbeite. Ich begann mich in der Flüchtlingsarbeit einzusetzen. Dabei bewegte ich mich ganz bewusst aus meiner Komfortzone, um Neues zu lernen, über mich und andere. Ich lernte mehr und mehr, das was ich schon zur Verfügung habe, besser zu integrieren.

Die Erneuerung Heute, einige Monate später, weiss ich mit mehr Klarheit und Bestimmtheit, was ich als 57-jähriger mit meinem Beruf (meiner Berufung) will, was weniger oder was gar nicht mehr. Fange ich mal mit dem “nicht mehr” an: Ich möchte mich nicht mehr einlassen auf Mandate, wo ich kulturell nicht etwas nachhaltiges beitragen und bewirken kann. Zum Beispiel das mittlere Kader befähigen zu wertschätzender Führung in einer Führungskultur die das Gegenteil davon ist und die Geschäftsleitung weiter macht wie bisher. Ich möchte keine Anpassungsleistungen mehr erbringen, die das Bestehende stabilisieren sollen. Auch wenn ich den Menschen sicher helfen konnte in den bestehenden Umständen besser zu (über)leben und zu arbeiten.

Was will ich? Ich möchte in meiner Arbeit labilisieren statt stabilisieren. Labilisieren heisst sich in die Unsicherheit hineinbegeben, ohne ein fertiges Vorgehenskonzept zu haben. Ich möchte diese Unsicherheit aushalten und mit den Betroffenen erforschen und herausfinden, was für Fähigkeiten und Haltungen benötigt werden um genau diese Unsicherheit als Chance zu nutzen für Erneuerung. Warum? Weil ich überzeugt bin, dass in der Unsicherheit und im Nicht-Wissen der Reisedestination, ungeahntes Potenzial liegt. Es ist ein Paradox. Sich einlassen auf das Nicht-Wissen ermöglicht grundlegende Erneuerung, indem man Neues lernt über die Erfahrung. Der damit verbundene Prozess ist eine Forschungsreise zu neuen Ufern, d.h. der Prozess mit den Beteiligten und Betroffenen ermöglicht das Erkennen der anstehenden Erneuerung. Die Erneuerung bietet sich an, man erkennt sie aber erst von einem anderen mentalen (inneren) Zustand aus. Genau diesen Prozess möchte ich unterstützen. Grundlegende Fragen sind erlaubt, wie zum Beispiel: was benötigen wir für Voraussetzungen, damit jeder von uns sein Potential entwickeln und ausleben kann? Wie schaffen wir Rahmenbedingungen, die uns ermöglichen uns agiler zu verhalten im Umgang mit Veränderungen bei uns und unseren Kunden? Welche Werthaltungen sind uns wichtig bei der Neugestaltung unserer Zusammenarbeit? Was heisst es konkret wenn der Mensch bei uns im Mittelpunkt steht?

Grundlegende Dinge sind im Wandel begriffen Was mich stark antreibt ist die Gewissheit, dass derzeit ein grundlegender Wandel stattfindet. An vielen Orten lässt sich beobachten, dass die bestehenden Organisationsformen und Führungsmethoden nicht mehr ausreichen um langfristig zu bestehen. Die aus der maschinellen Denkweise hervorgegangen starren hierarchischen Strukturen und Führungsmodelle können engagierten (jungen) MitarbeiterInnen keine motivierenden Voraussetzungen mehr bieten. Das Erfolgsmodell der formellen Hierarchie hat ausgedient. Der stetige Wandel erfordert eine grundlegend andere, lebendigere Form des Zusammenarbeitens auf Augenhöhe, auch mit ganz neuen Kompetenzen. Denn eine immer grösser werdende Population von engagierten (jungen) Menschen ist nicht mehr abzuholen mit hohen Gehältern und Aussicht auf Macht und Status. Nein, mehr und mehr Menschen wollen etwas wirklich Sinnvolles beitragen an dieser Welt, ganz konkret und pragmatisch. Sie benötigen mensch-orientierte Formen der Zusammenarbeit mit einer sinnorientierten Ausrichtung, die sie mit ihren eigenen Ambitionen verbinden können.

Was heisst das für mich als Berater und Coach? Ich möchte Menschen in Leitungsfunktionen unterstützen, die an einer Bruchstelle in ihrem Leben angelangt sind, wo deutlich wird, dass das Bisherige nicht mehr ausreicht und das Neue noch im Ungewissen liegt. Die Bruchstelle kann sehr unterschiedlich aussehen. Es kann ein Erlebnis sein,welches wie ein Schlüsselmoment aufzeigt, dass es so nicht weitergehen kann.

Ein Beispiel Eine Spitalleiterin fährt um 15.45 am Personalausgang vorbei und sieht eine Gruppe MitarbeiterInnen, wartend bis sie um 16 Uhr ausstempeln können. Dieses Erlebnis “fährt ihr ein” und bringt sie zu der Schlüsselfrage: “Wieso haben wir ein krankes System geschaffen, welches dieses Verhalten der Menschen hervorbringt?” In Folge bespricht sie ihre Erfahrung mit ihrem Leitungsteam und kündigt ihr Engagement für eine grundlegende Veränderung an. Ohne das Wissen über das Ziel oder den Lösungsweg, aber in der Gewissheit, dass es grundlegend andere Voraussetzungen benötigt, damit die Mitarbeitenden ihr Potential erkennen und engagiert ausleben können. Dann fragt sie, wer daran mitarbeiten möchte. Die Reise beginnt. Es kann aber auch ein biografisches Ereignis sein: ein krankes Kind, das eigene Burnout, ein Unfall oder ein Vorfall im Unternehmen.

Was ich als Berater und Coach einbringen kann, sind meine eigenen Erfahrungen im Umgang mit Bruchstellen und die Kompetenz im Umgang mit dem Ungewissen. Meine eigenen Bruchstellen, vor allem die letzte in der Reihe, haben mich zu neuen Erkenntnissen und Haltungen gebracht. Zudem habe ich gelernt, Prozesse (Wegstrecken) zu gestalten, die einen vertrauensvollen Rahmen schaffen für den Umgang mit dem Ungewissen.

Ich bin gerne der Reisebegleiter, der das Ziel auch nicht kennt. Die Reise kann also beginnen.

Marc Wethmar MScBA Juni 2017

Marc Wethmar MscBA, ist Inhaber von marc.wethmar.unternehmensentwicklung.gmbh. Nach vielen Jahren der Führung, arbeitet er seit 2003 selbständig als Berater für Führung- und Unternehmensentwicklung. Marc ist Holländer und Schweizer, lebt seit 17 Jahren in Zürich, ist Vater von 4 Söhnen, glücklich verheiratet und begeisterter Segler. (Link zu einer Website)(https://marcwethmar.ch)